Wir haben mit Genug ist Genug (GiG) Stadtteiltreffen Göttingen-Grone gesprochen. Am Interview beteiligt sind Stephanie, Steffen und Bernhard von GiG Grone. Außerdem ist Hendrik dabei, der in einer anderen Stadtteilinitiative, Grobian, ist und für die Partei die Linke im Ortsrat sitzt.
Als erstes würde ich euch gern kennen lernen. Wie seid ihr als Ini zusammen gekommen? Steffen, Du bist ja schon seit Anfang dabei.
Steffen: Im Zuge der Inflation letzten Spätsommer haben sich Leute zusammengefunden, initiiert aus linken Kreisen. Da war es gerade sehr schwer mit hohen Energiekosten und hohen Lebensmittelpreisen. Wir haben uns organisiert und sind über Haustürgespräche mehr geworden. Wir sind 15 Aktive und viele Sympathisanten.
Stephanie und Bernhard, Ihr seid dann ja später dazugekommen. Wie kam das?
Stephanie: Am bundesweiten Aktionstag von Genug ist Genug bin ich spontan aufgefordert worden, eine Rede über meine Wahrnehmung vom Stadtteil zu halten. Ich habe also ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert: Dass das Geld vorn und hinten nicht reicht, dass ich nach Lebensmittelgutscheinen und anderen Hilfen gefragt wurde. Ich habe in einem anderen Stadtteil sogar Kinder beim Klauen beobachtet. Hier beim Rewe hat die Tafel Lebensmittel weggeschmissen. Da kamen zwei Frauen angerannt und haben die Lebensmittel, die sogar die Tafel weggeschmissen hat, rausgefischt. Das zeigt, wie schlimm das hier ist. Bei dieser Aktion hat auch Genug ist Genug Göttingen gesprochen und ich habe hier alle kennen gelernt.
Steffen: Es fing also an mit der bundesweiten Initiative Genug ist Genug. Daraus hat sich unsere Gruppe entwickelt und jetzt arbeiten wir eigenständig und konzentrieren uns auf unseren Stadtteil: Lebensmittel, Energiekosten, Frauen stärken, … und einer der Hauptgegner ist die LEG.
Hendrik, du bist in Grone aufgewachsen. Kannst du für unsere Leser*innen einmal skizzieren, was für eine Stadt Göttingen ist und was für ein Stadtteil ist Grone?
Hendrik: Göttingen ist eine relativ große Studentenstadt und auch als Arbeitgeber ist die Universität wichtig. Grone ist eher ein Arbeiter*innenstadtteil, auch durch die Nähe zum Industriegebiet. Nach dem sozialen Wohnungsbau durch die Neue Heimat (gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft) wurden hier viele Wohnungen gebaut, damit Menschen überhaupt mal in Wohnungen mit Zentralheizung usw. kamen. In den 70er Jahren war das eine Errungenschaft. Es ist aber nicht weiter in Stand gehalten worden und ist jetzt in die Jahre gekommen. Wer es sich leisten kann, zieht in andere Stadtteile. Das erschwert die Nachbarschaftsarbeit auch.
Die Menschen, die hier wohnen, kommen in der Regel gut miteinander aus. Wenn hier Nazis auftauchen, machen wir gemeinsam antifaschistische Aktionen, da halten wir alle zusammen.
Als Stadtteilinitiative Grobian (Groner Bündnis-Initiative Antifaschismus), die antifaschistische Arbeit mit Gesicht im Stadtteil macht, schreiben wir uns ein bisschen was davon auch auf die Fahnen.
Steffen: Die Initiative Grobian und die Initiative GiG Grone ergänzen sich gut. Wir sind ein bisschen unterschiedlich drangegangen und GiG ist im Altersdurchschnitt ein bisschen jünger. Gemeinsam wollen wir das Mobilisierungsproblem lösen, weil Einkommensschwache sich am schwersten wehren können. Obwohl es hier am erforderlichsten ist. Wir haben gesagt, wir müssen lernen, die Kräfte zu bündeln. Und das ist uns auch schon bei zwei Aktionen gelungen.
Hendrik: Dieser Wohnungsbestand aus den 70ern ist dann, nachdem die Neue Heimat zugrundegerichtet wurde, an verschiedene Wohnungsgesellschaften übergegangen. Es hat zig Wechsel gegeben, bis 2016 waren die ‚relativ‘ unschädlich, weil die Vermieter sich einfach um nix gekümmert haben – dass nicht modernisiert wurde, hatte aber den Vorteil, dass der Mietzins im Stadtteil relativ gering blieb. Bevor die ADLER Group 2016 hier in den Stadtteil kam, hatten wir Mieten um die 5 Euro. Das war für die Mieter*innen sehr, sehr wichtig. Ein paar Häuser gibt es, die von der Genossenschaft Volksheimstätte bewirtschaftet werden: Da sind die Mieten ähnlich, aber in einem ganz anderen Zustand der Wohnungen. Die haben sich nämlich um ihre Bestände gekümmert. Wenn man an den Häusern vorbeigeht, sieht man direkt, wer verantwortungsvoller Vermieter von vor Ort ist und wer Aktionär ist und einfach nur Profite haben will.
Ihr habt jetzt sowohl die Aktionäre als auch die LEG konkret schon angesprochen: drei von euch wohnen ja in LEG-Häusern. Mit wem haben wir es da zutun?
Bernhard: Grundsätzlich finde ich es natürlich schwierig, dass mit Wohnraum spekuliert wird. Und dass ein Gewinn für Aktionäre erzeugt werden soll. Aber als Mieter habe ich mit der LEG nicht so viele Probleme. Mit einigem bin ich schon auch zufrieden, ich wohne sehr gern hier und finde meine Wohnung schön. Klar könnte sie sich um Sachen besser kümmern, zum Beispiel waren die Renovierungen sehr unorganisiert und wurden schlecht angekündigt. Allerdings wurden viele Wohnungen auch nicht modernisiert, die Arbeiten wurden abgebrochen. Aber trotzdem sind die Mieten in den nicht-sanierten Wohnungen auf ein ähnliches Niveau gestiegen wie in den renovierten. Das ist eine klare Ungerechtigkeit.
Dass die Sanierung was gebracht hätte, kann ich nicht sagen. Und dafür ist die Wohnung über 150 Euro teurer geworden.
Stephanie: Ich sehe das anders. Klar bin ich auch über den Wohnraum sehr glücklich. Die Lage mit der Wohnungsnot wird ja auch immer schlimmer. Aber die Sanierung war totaler Schwachsinn. Hier sollte eine „Belüftungsanlage“ eingebaut werden, tatsächlich sind das einfach Löcher in der Wand mit Plastik drüber. Die Fenster wurden saniert, aber nach alter Technik: da sind unglaublich viele Hohlräume, da wurde tonnenweise Bauschaum reingehauen. Und die Balkonplatten sind auch nicht richtig festgesetzt worden und der Balkon ist um die Hälfte kleiner. Seit einem Jahr funktioniert die Klingel nicht. Ich renne den Zuständigen seit einem Jahr hinterher und es passiert nichts. Dass die Sanierung was gebracht hätte, kann ich nicht sagen. Und dafür ist die Wohnung über 150 Euro teurer geworden. Wir haben Glück gehabt, dass die Behörde das übernommen hat. Wenn du die LEG anrufst, bist du in einer Warteschlange und wartest anderthalb Stunden. Und die sind total unfreundlich.
Aber wenn du nicht gerichtlich, anwaltlich oder politisch gegen sie vorgehst, geben sie dir nichts. Das liegt daran, dass der Mensch hier keine Rolle spielt. Es geht nur darum, Profit zu generieren.
Steffen, du sagtest, du hast der LEG den Kampf angesagt. Warum ist dir das wichtig?
Steffen: Wir hatten es mit immer unterschiedlichen Immobilienkonzernen zu tun. Meine Miete ist seit 11 Jahren ungefähr ums Doppelte gestiegen. Viele mussten ausziehen, gerade für Geringverdiener ist das nicht zu schaffen.
Es sieht gerade so aus, als würde die LEG sich etwas mehr bewegen als der vorige Besitzer ADLER: Das ist auch auf den Druck im Ortsrat und unsere Aktionen entstanden. Aber wenn du nicht gerichtlich, anwaltlich oder politisch gegen sie vorgehst, geben sie dir nichts. Das liegt daran, dass der Mensch hier keine Rolle spielt. Es geht nur darum, Profit zu generieren.
Du hast den politischen Druck angesprochen. Hendrik, du sitzt für die Partei die Linke im Ortsrat in Grone und bist schon lange in der Initiative Grobian aktiv. Könntest du etwas über die langjährigen politischen Auseinandersetzungen um Wohnraum in Grone erzählen?
Hendrik: Wir haben das Problem, dass die politisch verantwortlichen in dieser Stadt immer auf Investoren setzen. Das ist schon beim IWF-Gelände schief gegangen. Wir wissen: Wenn unsere kommunalen Baugesellschaften hier Wohnungen bauen oder bewirtschaften stellt das für Mieter*innen bessere Lebensbedingungen dar. Das betrifft die Mietpreise, aber auch die Instandhaltung, Nebenkostenabrechnungen und die Hausmeistertätigkeiten.
Im stadtweiten Bündnis Gutes Wohnen für Alle sind wir uns einig, dass wir fordern: Kein Verkauf von städtischem Grund an private Investoren und Förderung des bezahlbaren Wohnraums durch unsere kommunalen Wohnungsgesellschaften.
Durch unsere gemeinsame Arbeit hier im Stadtteil ist der Organisationsgrad im Stadtteil beim Mieterverein gestiegen. Leute legen Widersprüche ein und wehren sich. Das zeigt auch, dass die tausende von Flugblättern, die wir verteilt haben, sich auszahlen.
Steffen: Ich denke, hier zeigt sich auch, dass der Druck für die einzelnen Menschen gerade besonders hoch ist. Viele sagen, es war noch nie so schlimm wie jetzt.
Ihr habt schon mehrere Aktivitäten gegen die LEG erwähnt, sei es Einspruch gegen falsche Nebenkostenabrechnung oder vehement und ausdauernd Hinterhersein, damit irgendwas repariert wird. Ihr seid ja als Stadtteiltreffen nicht nur im Mietbereich aktiv, sondern beschäftigt euch auch mit ansonsten höheren Lebenshaltungskosten. Wie macht ihr das gemeinsam?
Steffen: Wir sind erst mit großen politischen Themen an die Leute herangetreten und wollten eine große Demo machen: LEG enteignen! Das hat nicht funktioniert. Wir haben uns weitergebildet, wie man sich organisieren kann. Da ist uns klar geworden, wir müssen an der Basis anfangen, an den kleinen Themen, und brauchen einen langen Atem. Sonst ist die Schwelle zu hoch.
Bernhard: Ganz wichtig ist, dass viele von uns aktiv auf die Nachbar*innen zugehen und an den Häusern klingeln. Wir führen Gespräche, welche Probleme in der Nachbarschaft bestehen und ob man da was machen kann.
Gibt es da gerade ein Schwerpunkt-Thema, das sich abzeichnet?
Stephanie: Das verbindende Thema ist die Erhöhung der Miete und der Nebenkosten.
Bei unseren Gesprächen war die Erfahrung sehr positiv. Wir haben oft gehört „Endlich! Warum gab es das nicht vorher? Man müsste mal den Mund aufmachen.“
Steffen: Und die Nebenkostenabrechnung betrifft alle unterschiedlich, aber wie kann es jemanden treffen, der nicht anders lebt, der soll jetzt plötzlich 2000 Euro nachzahlen. Wie kann das denn sein? Die Grundstücke sind regelrecht tot, die Bäume sind verschwunden, es gibt nur Beton und Rasen. Keine Bank, keine Blumen, verwahrloste Spielplätze. Nicht alles hat die LEG verbockt. Aber sie wäre jetzt in der Verantwortung, das wieder in Ordnung zu bringen. Bei unseren Gesprächen war die Erfahrung sehr positiv. Wir haben oft gehört „Endlich! Warum gab es das nicht vorher? Man müsste mal den Mund aufmachen.“ Genau dafür sind wir da.
Hendrik: Unserer Erfahrung nach ist das Nachbarschaftszentrum (das gibt es seit ca 10 Jahren) toll und wertvoll mit Männerfrühstück, Frauenkochgruppe und Hilfe mit Nebenkosten, neuen Mietvertrag usw. Hier gibt es einen ersten Ansprechpunkt. Zum Glück konnten wir erreichen, dass es in regelmäßigen Abständen eine Rechtsberatung gibt. Da, wo es ums konkrete Geld geht, ist der Info-Bedarf und die Empörung am größten, weil die Leute ihr eigenes Überleben sichern müssen.
Ich finde aber auch die Beziehungen wichtig: Hier im Stadtteil ist es ein sehr nettes Miteinander. Das ist eine wichtige Ebene.
Bernhard: Ich finde aber auch die Beziehungen wichtig: Hier im Stadtteil ist es ein sehr nettes Miteinander. Das ist eine wichtige Ebene. Gemeinsame Freizeitaktivitäten sind wertvoll und ich möchte das in Zukunft weiter verfolgen.
Stephanie: Wir hatten auch schon viele Aktionen. Wir haben eine Müllsammel-Aktion gemacht. Um 2 Häuser herum haben wir den Müll eingesammelt, massenhaft blaue Säcke gefüllt, und mit 2 Einkaufswägen zum LEG-Büro gebracht. Dort haben wir auch einen Brief an die LEG abgeliefert. Damit sind wir in der Zeitung gelandet und seitdem pflegt die LEG die Flächen mehr. Wir haben auch einen Malwettbewerb veranstaltet. Kinder sollten malen, wie sie sich hier alles wünschen. Auch damit standen wir in der Zeitung und die Bilder werden heute noch im Nachbarschaftszentrum ausgestellt. Auch am Frauentag haben wir eine riesen Aktion gemacht. Jetzt planen wir eine Bepflanzungs-Aktion und werden selber Beete anlegen.
Wenn wir diesen Blick in die Zukunft weiter ausmalen: Was braucht es eurer Ansicht nach jetzt, damit ihr erfolgreich weitermachen könnt? Welche Forderungen erhebt ihr?
Stephanie: Lebensmittelpreise dürfen nicht so hoch bleiben. Bundespolitisch muss man hier was machen, etwa die Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel erlassen. Bei mir gibt es jetzt nur noch Nudeln mit Ketchup. Mit Blick auf die Zukunft muss hier deutlich mehr Druck auf die Politik ausgeübt werden.
Bernhard: Ja, das sehe ich auch so. Aber wenn es nach mir geht, muss das für alle Lebensmittel gelten. Ich möchte nicht bevormundet werden, sondern selbst entscheiden, was ich esse.
Steffen: Das große Ziel ist, dass Immobilienkonzerne wie die LEG vergesellschaftet werden. Stück für Stück arbeiten wir in diese Richtung. Wir gehen kleine Schritte, und dazu gehört die Flächenbegrünung genauso wie die Nebenkostenabtrechnungen und Müllproblematik. Das motiviert.
Hendrik: Es gibt hier einen Konsens, dass Wohnen keine Ware sein darf. Wir sind denen dankbar, die in Berlin die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. Enteignen! Durchgeführt haben. Das hat uns anderen im Rest der Republik sehr viel Aufwind gegeben. Wir müssen es jetzt nur noch bundesweit umsetzen.
Unsere ehemalige Sozialdezernentin Dr. Schlapeit-Beck hat in den 90er Jahren schon die Idee gehabt, die Wohnungsbestände der ehemaligen Neuen Heimat in Städtische Wohnungsbau o.ä. zu überführen. Hat sich damals aber nicht durchsetzen können. Wäre das damals passiert, hätten wir eine ganz, ganz große Anzahl der Probleme hier nicht. Wobei, als Kommentar: Deutsche Wohnen enteignen – aber nicht zu den aktuellen Marktpreisen. Sonst bringen wir unsere Kommune damit um.
Das ist ein starkes Schlusswort. Ich danke euch für das Gespräch!