Wir haben mit Bärbel aus Northeim gesprochen. Sie hat die Mieterinitiative Northeim gegründet und ist auch aktiv bei Gemeinsam gegen Vonovia.
Mailadresse: mieter-initiative-northeim@gmx.de
Die gleichnamige Website ist gerade leider nicht online, bald wird sie aber wieder erreichbar sein.
Hallo Bärbel, schön, Dich zu treffen! Könntest Du Dich zum Einstieg einmal vorstellen: Wie kam es, dass Du wohnraumpolitisch aktiv geworden bist?
Ich habe 15 Jahre beim Anwalt gearbeitet und ich habe was gegen Ungerechtigkeiten. Vor 2 Jahren habe ich mich getrennt und suchte händeringend eine Wohnung. Ich habe nichts irgendwie Bezahlbares gefunden. Die Mieten sind irre hoch in Northeim. Zu dem Zeitpunkt habe ich nur Krankengeld bekommen und sonst keine Unterstützung. Die Vermieter tun sich damit natürlich schwer: Wenn du kein geregeltes Einkommen hast, nur so wenig Rente und so weiter. Ich habe alle großen Wohnungsunternehmen abgeklappert, die Bestände in Northeim haben. Ohne Kenntnis von – ich sag mal: der Sachlage bin ich zur Northeimer Wohnungsgesellschaft gekommen.
Die hatten eine Wohnung für mich – zwar nicht behindertengerecht, aber zumindest war die Wohnung im Erdgeschoss. Und sie war 30, 40 Euro billiger als die anderen. Da musste ich mich mit dem Landkreis rumärgern, die die Miete nicht bezahlen wollten: Sie sei zu teuer.
Ich bin dann in die Wohnung eingezogen. In der Zeit habe ich viel gesehen, viel gehört, auch von den Hausmeistern und Nachbarn.
Vor 2 Jahren bin ich auch in der Partei die Linke eingetreten und habe dann eine Einladung zur Enteignungskonferenz nach Berlin bekommen. Da bin ich hingefahren, und das hat mich inhaltlich abgeholt.
Im Frühjahr darauf wurde ich zu einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung eingeladen. Christoph Trautvetter hat dort einen Vortrag gehalten und gezeigt, wie man die Immobilienunternehmen untersuchen kann. Was er da zur Northeimer Wohnungsgesellschaft rausgefunden hat, hat bei mir den Auslöser gegeben.
Was habt ihr denn über die Northeimer Wohnungsgesellschaft herausgefunden?
Es fängt damit an, dass die schon gar nicht mehr so hießen, sondern sich in Silver Wohnen umbenannt hatten. Und er hat das weiter verfolgt und ist bei Brookfield, einem kanadischen Vermögensverwalter, gelandet. Und da fand ich, das müssen alle wissen, die da wohnen.
Wie ging es dann weiter?
Dann war ja letztes Jahr Landtagswahl und aufgrund meiner Behinderung habe ich rumgefragt und einen Genossen aus Sachsen-Anhalt gefunden, der eine Woche nach Northeim kam, um mir tatkräftig beim Wahlkampf zu helfen. In dem Zug hat er mir zur Seite gestanden, die Mietinitiative aufzubauen. Er ist also mit herumgelaufen, hat mir einen Raum für die erste Versammlung gesucht. Weil es so viele Mieter*innen sind, bin ich straßenweise vorgegangen und habe pro Straßenzug eine Veranstaltung gemacht. Wir haben überall Flyer verteilt.
Ich habe immer gesagt: Es funktioniert nur, wenn wir größer werden und uns zusammenschließen. Klar werden viele von Anwält*innen vertreten – das können sie ja auch weiterhin. Aber trotzdem haben wir alle uns der Initiative aus Witten angeschlossen.
Somit zahlt keiner von denen, die in der Mietergemeinschaft sind, Nebenkostennachzahlungen und deren Erhöhung. Wir machen von unserem Rückbehaltungsrecht Gebrauch.
Aber alle sind nicht dabei. Denn es gibt sehr viele, die haben Angst. Leute mit wie ohne Migrationshintergrund, wobei die, die nicht deutsch sprechen, wahrscheinlich noch mehr. Ich hatte Kontakt mit einem arabischsprechenden Paar, das panische Angst hatte, aus der Wohnung zu fliegen. Er hat sich von mir nicht überzeugen lassen, dass das nicht so einfach möglich ist.
Gerade hast Du schon erwähnt und im Vorgespräch war auch schon die Rede davon: Der Wohnungsmarkt in Northeim ist sehr angespannt. Northeim ist ja auch in der Nähe von Göttingen, und so versucht man, die Studierenden, die in Göttingen keinen Wohnruam finden, in Northeim für nicht wenig Geld unterzubringen. Wie ist denn die Silver Wohnen in Northeim aufgestellt?
Wie viele genau, habe ich noch nicht herausgefunden, aber es sind Hunderte. Ihre Bestände sind über das ganze Wohngebiet verteilt.
Und du hast gerade schon angedeutet, was es für Mieter*innen bedeutet, bei einem Eigentümer zu wohnen, der auf Profit angelegt ist. Du sagtest, Leute haben Angst. Kannst du mehr dazu sagen, an welchen Problemen ihr als Initiative ansetzt?
In erster Linie geht es bei uns um Wohnungsmängel. Wir haben im ganzen Bestand ca. 30% extrem verschimmelte Wohnungen [wie in diesem Beitrag von Hallo Niedersachsen zu sehen war].
Das ist der Witz: Wir werden nicht versorgt, aber sie stellen es uns in Rechnung.
Das ist untragbar – mit diesem Zustand stecken wir ja Vonovia teilweise in die Tasche. Das andere riesige Thema ist die Nebenkostenabrechnung. Wenn ich schon alleine meine sehe: Kosten für die Gartenpflege von 50.000 €. Das gilt zwar für alle Blöcke – aber für das bisschen Rasenmähen? Wir haben die Unterlagen schon mehrfach geprüft. Für Dezember allein haben sie 20.000 Euro für Gartenpflege berechnet. Was macht man denn im Dezember im Garten für 20.000 Euro? Ein anderes Beispiel sind die TV-Anschlüsse: 36.000€. Aber: Wir kriegen kein TV. Das ist der Witz. Wir werden nicht versorgt, aber sie stellen es uns in Rechnung.
Genauso beim Müllmanagement: Jedes Haus, ob es bewohnt ist oder nicht, bezahlt an die Stadt für 1.100 Liter die Woche. Wenn ein Haus nicht bewohnt ist, werden die Müllkosten auf die anderen Häuser umgelegt.
Die Versicherung ist einer der Posten, warum in Northeim das Jobcenter seit Jahren die Nebenkosten-Abrechnung nicht zahlt. In anderen Städten wird das vom Jobcenter gezahlt. In Northeim nicht. Ich finde ja richtig, wenn man die Nachzahlung nicht bezahlt. Aber wenn ich es als Jobcenter nicht zahle, aber auch nichts dazu an den Eigentümer schreibe, dann stehen die Leute mit einer Nachzahlung von 1800 Euro im Regen und bezahlen sie nicht, weil sie sie eh nicht zahlen können. Damit hat die Silver Wohnen immer wieder einen Grund, unangenehme Mieter*innen rauszuklagen.
Die Eigentümer haben extrem häufig gewechselt.
Das Büro in Northeim hat geschlossen – wenn man Kontakt aufnehmen will, muss man es über eine Hotline versuchen. Und da erreicht man niemanden.
Man hat es in Northeim also einerseits mit krassen Nebenkostenabrechnungen zutun, auf der anderen Seite das Jobcenter, das nicht ordnungsgemäß Geld einbehält, sondern einfach nicht zahlt.
Du hast jetzt das ganze Panorama der Probleme aufgezeigt. Was sind als Initiative eure Strategien, um dagegen anzugehen?
In Bezug auf die Nebenkosten lohnt es sich, erstmal darauf hinzuweisen: Was müsst ihr überhaupt zahlen? Das hatten wir in ganz vielen Versammlungen. Die Fragen: Muss ich die Treppenhausreinigung überhaupt bezahlen, in welchem Maß,…? Die stellen uns Sachen in Rechnung, das spottet jeder Beschreibung.
Für die Heizkosten habe ich bisher eine einzige Belegeinsicht bekommen, für ein Gebäude. Die Unterlagen waren aber unvollständig. Es waren nur irgendwelche dubiosen Rechnungen. Eine Rechnung war sogar für eine Begehung, die nicht stattgefunden hat. Ich bezahle doch nicht für eine Leistung, die nicht erfolgt ist.
Als Initiative setzt ihr dann dort an, dass ihr euch vernetzt und informiert, was jeweils in den Häusern läuft und ihr sprecht gemeinsam: Wir als Mieter*innen der Tschaikowskystraße sagen nein?
Ja, genau. Wir haben die Kampagne vom Mieter*innenverein Witten gerade laufen, zur Einbehaltung der Nebenkosten. Da unterschreiben alle, die mitmachen wollen. Da stehen die Forderungen drinnen – und dann kann die Silver Wohnen nicht sagen, sie hätten es nicht gewusst.
Es wäre ein Einfaches, den Schimmel aus der Wohnung zu kriegen. Es ist ein Baumangel von außen.
Aber das machen sie nicht, weil sie nur auf Profit aus sind. Stattdessen bekommt man Zettel mit „Tipps zur Raumlüftung“.
Auf die Belegeinsicht hin habe ich Widerspruch eingelegt. Denn wir bezahlen ja weiterhin nicht.
Ich habe eine Begehung mit Gutachtern organisiert: Es wäre ein Einfaches, den Schimmel aus der Wohnung zu kriegen. Es ist ein Baumangel von außen. Von außen müsste man nur mit einer Dämmung die Risse verdecken und hätte vernünftigen Wohnraum. Aber das machen sie nicht, weil sie nur auf Profit aus sind. Stattdessen bekommt man Zettel mit „Tipps zur Raumlüftung“. Bei einer jungen Familie mit massenhaft Schimmel an den Wänden war der Zettel. Ich war in der Wohnung: Da ist gelüftet worden. man riecht es, wenn nicht gelüftet wird. Deswegen stehe ich auf dem Standpunkt: Wohnraum gehört nicht den Privaten. Der muss vergesellschaftet werden.
Die vier Mietergemeinschaften habe ich jetzt zusammengeschlossen und einen gemeinnützigen Verein gegründet. Jetzt können wir als eine Stimme sprechen. Vorrangige Ziele: Vertretung gegen die Silver Wohnen und Rechtsnachfolger und natürlich die Begleitung von Familien mit Migrationshintergrund bei Behördengängen. Das mache ich eh schon, aber das muss man auf breitere Schultern stellen. Alleine geht das nicht.
Jetzt hast du schon die Perspektive nach vorne angesprochen: Gibt es neben der Vergesellschaftung noch andere Sachen, die es in euren Auseinandersetzungen, auch kurzfristiger, braucht?
Was es noch braucht, ist die Unterstützung der Stadtpolitik. Der Bürgermeister hat bislang mit der anderen Seite sympathisiert. Das Bauamt der Stadt wollte die Schimmelwohnungen sperren. Dann wurde mir mitgeteilt, es sei eine Mail vom Bürgermeister eingegangen sei, sie dürften zwar ermitteln, aber müssten den Ball flach halten. Weder Gesundheitsamt noch Bauamt haben sich nur eine dieser Schimmelwohnungen angeschaut.
Ich finde, was du mit diesem Beispiel deutlich machst, ist: Dass es einerseits eine Eigentumsfrage ist, andererseits auch eine Stadtpolitische. Wenn Städte investorenfreundliche Politik machen, leiden die Bewohner*innen darunter.
Genau so ist es.
Danke für das Gespräch!